Ein Blick hinter die touristischen Fassaden der wunderbare Stadt
Zwischen Malandros, Lixo Zero und Lei Seca
Eine Stadt zwischen viel mehr als zwei Welten, das ist Rio de Janeiro. Die Copacabana in der zona sul auf der einen und die Favelas in der zona norte auf der anderen Seite markieren die Extreme nur auf dem ersten, flüchtigen Blick. Wobei unsere samabatrunkenen europäischen Sinne, berauscht vor allem von der sprichwörtlichen Freundlichkeit der Cariocas, selbst die Armutssiedlungen noch mit einem ähnlichen Zauber wahrnehmen wie das zweite Glas Caipirinha. Dazu trägt eine Stadtpolitik bei, die schwankt. Zwischen der Umwandlung vom illegalem Wohnraum zu legitimem Lebensraum und dem brutalen „Wegräumen“ von allem, was den Blick der Welt auf die Stadt trüben könnte.
Begeisterung für Recht und Regeln
Der eine Weg ist vielversprechend, der andere schnell. Welcher gegangen wird, steht im engen Zusammenhang mit der zeitlichen Entfernung vom nächsten Großereignis wie der Fußballweltmeisterschaft oder den Olympischen Spielen. Während ab 1994 das ehrgeizige Programm Favela-Bairro schon mit seinem Namen die Umwandlung der Armutssiedlungen in gleichberechtigte Stadtteile versprach – und damit teilweise so erfolgreich war, dass sich mittlerweile in der Favela Pereira da Silva sogar Reisende aus aller Welt in einem Hostel ein Zuhause auf Zeit finden – heißt es mittlerweile Morar Carioca. Wieder so ein vielsagender Name: Zunächst einmal bedeutet es, in Rio de Janeiro zu wohnen – so, dass man sich hier zuhause fühlt, es lebenswert ist und man sich gerne mit dieser Stadt identifiziert. Vor allem schwingt aber mit, woher die Bewohner Rio de Janeiros ihren Namen überhaupt haben: Die ursprünglich hier ansässigen Indios nannten so „die, die in den weißen Häusern wohnen“ – die portugiesischen Eroberer. Wer heute von ähnlichem Wohn- und Lebensstandard immer noch meilenweit entfernt ist, muss in Morar Carioca leider oft eher eine Bedrohung als eine Verheißung sehen: Was nicht ins Bild passt, wird oft einfach brutal geräumt, bevor die Fernsehkameras aller Kontinente da sind.
Ähnlich ambivalent gestaltet sich die politische Gestaltung des öffentlichen Lebens in vielen Bereichen, und folgerichtig gilt das Gleiche für das Verhältnis der Cariocas zu ihrer Stadt. Da hilft es eindeutig, sich ein wenig einer typisch brasilianischen Eigenschaft zu bedienen, der malandragem. Ein Malandro mogelt sich durchs Leben, verschafft sich Vorteile auch auf Kosten anderer – versteht dies aber eher als Notwehr. In einem Staat, in dem es, so eine weit verbreitete Meinung, alle so machen. Vorneweg natürlich die Politiker. Dumm nur, dass diese Art der „Notwehr“ das Chaos exponential vergrößert. Bis der Druck so hoch ist, dass wenigstens in überschaubaren Teilbereichen auch radikale Sanktionsandrohungen langsam, aber sicher akzeptiert werden.
Lixo Zero: Die Zigarettenkippe für 50 Euro
Damit die Stadt nicht im Müll versinkt, setzt sie seit August 2013 ihr „Null Müll“-Gesetz Lixo Zero um. Wohlweislich erstmal nur in der zona sul … Malandragem auf Verwaltungsart. Doch wo Rio de Janeiro es ernst meint, meint Rio es wirklich ernst: Mal eben schnell die Zigarettenkippe weggeschnippt? 157 Reais, bitte – etwa 50 Euro. Der Erfolg: Gab es am ersten Tag 151 „Missetäter“ zu vermelden, waren es am zweiten bloß noch 50. Das mag zum einen daran liegen, dass der Blick der Cariocas sehr schnell lernt, lauernde Gefahren wie Mitarbeiter von Stadtreinigung, Zivil- und Militärpolizei in der Umgebung auszumachen. Geholfen haben offensichtlich aber auch Kampagnen wie Lixo no Lixo, Rio no Coração (Müll im Müll, Rio im Herzen) im Vorfeld, die die Bevölkerung Monate vor der Umsetzung des Gesetzes sensibilisiert haben.
Lei Seca macht's möglich:
Trockengelegter Straßenverkehr
Ein drastischeres Beispiel ist das landesweite „trockene Gesetz“: Lei Seca hat die Alkoholgrenze hinterm Steuer auf 0 Promille gesenkt und ein Verfolgen sämtlicher Verkehrssünden deutlich vereinfacht. Das 2008 eingeführte Lei Seca wird in Rio de Janeiro mittlerweile auch mit Hilfe der Bevölkerung durchgesetzt, einfach, weil der Erfolg für alle sichtbar ist: Allein von 2012 auf 2013 sank die Zahl der Verkehrstoten landesweit um sechs Prozent. Wenn man die steigende Zahl der Autos einrechnet, sogar um fast zehn Prozent. So twittern die Cariocas auf twitter.com/LeiSecaRJ fast im Minutentakt Vorfälle, um der Polizei zu helfen und ihre Mitbürger zu warnen. Malandragem umgekehrt, sozusagen: Zum Wohl aller, und damit am Ende auch für meine Familie und mich.
Ein Geflecht von Extremen, die sich gegenseitig bedingen. In der confusão, dem stressigen, manchmal grausamen und immer wieder vor liebenswerter Menschlichkeit strotzenden Chaos dazwischen bewegen sich alle Cariocas. Ob beim Gang auf einen cafézinho in der Bar oder im hupenden Straßenverkehr von der Favela zur Copacabana.
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Die wichtigsten Notfallnummern:
Vorwahl 21 verwenden (DDD = 21)
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