Der Zuckerhut liegt gar nicht direkt in Rio:
Oscar Niemeyer
Oscar Niemeyer war ein über die Grenzen seiner Heimat Brasilien gefragter Architekt und seine Bauwerke stehen in allen Metropolen der Welt.
Natürlich hatte er auch maßgeblichen Einfluss auf das Erscheinungsbild seiner geliebten Heimatstadt Rio de Janeiro, der „cidade maravilhosa“. Seine Bauwerke sind alle architektonische Meisterwerke und die meisten zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt worden.
Oscar Niemeyer hat immer mit breiter Brust behauptet, dass er zeichne, bis er umfalle. Und manch einer hat diesen Satz als Drohung aufgefasst. Die Gebäude des brasilianischen Star-Architekten sind häufig sehr skurril und sind wohl eher abstrakte Baukunst als funktional. Hinzu kommt, dass sie oft eine Herausforderung für Bauherren und Landschaft sind. Funktionelle Bauweise war für Oscar Niemeyer oft zweitrangig, die Ästhetik und der künstlerische Aspekt standen bei ihm stets an erster Stelle. Egal ob Bürogebäude oder Kirchen - normal war bei ihm nichts. So auch sein eigenes Zuhause, Casa das Canoas, im Südwesten von Rio de Janeiro, das er nur am Anfang seiner Karriere bewohnte.
Casa das Canoas - Natur und Architekur vereint
Eine der bemerkenswertesten Dinge über die Casa das Canoas, von Oscar Niemeyer im Jahr 1951 entworfen, ist die Leichtigkeit und „Transparenz“ im ersten Stock des Hauses. Das für eigene Zwecke im Jahr 1953 fertiggestellte Gebäude am südwestlichen Stadtrand von Rio de Janeiro, das sich stark am Stil und den Ideen seines schweizer Lehrmeisters Le Corbusier anlehnt, erwacht vor allem durch seine Kurven und Rundungen und die Verwendung von ungewöhnlichen Materialien zum Leben. Bis ins Jahr 1965 diente es Niemeyer als Zuhause für ihn und seine Familie, ehe sie sich mit Beginn der Diktatur gezwungen fühlten, das Haus und Rio de Janeiro zu verlassen. Mit „tropischer Erotik“ als Konstruktionssprache dekonstruierte Oscar Niemeyer die Sprache der funktionalen Architektur der Moderne: das leicht gekrümmte Flachdach wird durch dünne Stahlsäulen und transparenten Glaswänden in seiner Einfachheit und Elegenaz unterstützt und lässt das ganze Haus quasi im tropischen Dschungel Brasiliens verschwinden. Egal, ob man dort am Pool relaxt, mit einem Cocktail auf der Terrasse sitzt, oder einfach am Fenster steht und durch den Wald auf den Atlantik schaut, kein anderer hat Rio de Janeiros Lebensgefühl und die Schönheit der Natur in Form von Architektur besser zum Ausdruck gebracht als Oscar Niemeyer.
Sambódromo da Marquês de Sapucaí - Rios berühmte Karnevalstraße
Ein weiteres architektonisches Meisterwerk, das Rios Lebensgefühl verkörpert, ist das Sambódromo.
„Es ist ein Projekt für das Volk, für die Freuden des Volkes“, wird der Star-Architekt Oscar Niemeyer über die Karnevalstraße zitiert. Das Sambódromo ist eine über 700 Meter lange Prachtstraße, die links und rechts von Tribünen (über 72.500 Zuschauer finden hier Platz) gesäumt ist und am Platz der Apotheose, der künstlerisch wertvoll mit Doppelbögen überwölbt ist, endet. Ziel war es, dass die Sambatänzerinnen und Sambatänzer an diesem Platz ihre Parade beenden und sich mit dem Publikum vereinen und feiern, was jedoch nur ein einziges Mal, im Jahr der Eröffnung, auch so zelebriert wurde. Der Grund: die Paraden der Samba-Schulen sind so streng getaktet, dass für derartige Rituale und Feierlichkeiten keinerlei Zeit und Platz ist.
Um ein gutes Karma für den Karneval zu erlangen und um die Götter zu besänftigen, wird in einem aufwändigen Ritual der fast ein Kilometer lange Betonstreifen des Sambódromos kurz vorher gewaschen und gereinigt und mit Duftölen „gesegnet“. Und in diesem Jahr, 2014, kam eine Besonderheit dazu: Das Sambódromo, die weltweit bekannteste Karneval-Straße im Herzen Rio de Janeiros, ist 30 Jahre alt geworden.
Doch der Karneval war nicht immer der Karneval, wie wir ihn heute kennen. Einen nicht unerheblichen Einschnitt stellte die Errichtung des Sambódromos im Jahr 1984 dar. Vor dem Bau des Sambódromos fanden die Umzüge auf Rio de Janeiros berühmter Avenida Getúlio Vargas statt. Doch als der Karnevalsumzug immer größer und teurer wurde, suchte man dringend eine permanente Lösung. Bisher sind entlang der Avenida Getúlio Vargas jedes Jahr aufs Neue Tribünen auf- und abgebaut worden. Eine langfristige Konstruktion wäre nur doppelt so teuer wie die Kosten, die jedes Jahr für die Umbauten aufgebracht werden müssten, lautete damals das ökonomische Argument. Allerdings war der erste Entwurf absolut inakzeptabel, einfach nur„fürchterlich hässlich", behauptet Darcy Ribeiro, ein damals bekannter Politiker Rios. Deshalb hatte er Oscar Niemeyer mit ins Boot geholt, dessen Ideen und Pläne die Kostenrechnung vermutlich stark in die Höhe schnellen liessen.
Um eine Refinanzierung des Sambódromos zu ermöglichen wurden höhere Eintrittspreise verlangt. Eintrittspreise für das Fest des Volkes ist an sich nichts Neues, denn bereits seit dem Jahr 1962 wurde, damals noch für die Holztribünen auf der Avenida Vargas, Eintritt verlangt; das Sambódromo allerdings verursachte eine Preisexplosion bei den Tickets für die Zuschauer - bis zu 2.500 Prozent Preisaufschlag innerhalb von 30 Jahren, was sicherlich nicht im Sinne Oscar Niemeyers war. Dass die Samba-Schulen jetzt nicht mehr in einer Nacht, sondern in zwei Nächten zelebrieren, sorgte für noch größeren Unmut bei den Kritikern und den Einwohnern Rios: „Das sei so, als bekäme man zum vollen Preis nur einen halben Film zu sehen. Und für die zweite Hälfte am zweiten Abend, muss der volle Preis noch einmal gezahlt werden.“
„Als Schauplatz ist das Sambódromo natürlich wunderschön, aber seit es besteht, ist der Karneval reglementierter geworden, und Leute mit weniger Geld haben weniger Zugang, seit die Liesa das Kommando hat“, behauptet Fátima Pereira, die jedes Jahr bei der traditionellen Waschung und Segnung teilnimmt. Für die Teilnehmer an Rio de Janeiro's Umzügen habe sich durch die Kommerzialisierung nichts geändert. „Wer aus Rios Favelas, wo die Sambaschulen ja beheimatet sind, mitmacht, für den ist der Karneval nach wie vor das Allergrößte“, sagt Fátima Pereir, „der Karneval erhebt sie, wertschätzt sie, macht sie für eine Nacht zu Künstlern und Stars.“
Museum für Zeitgenössische Kunst - Oscar Niemeyers UFO
Oscar Niemeyer war eine Persönlichkeit, der für jede seiner Bauten eine Vision hatte und sie bis ins kleinste Detail umzusetzen versuchte. Natürlich behauptet er, er wäre stets offen für gestalterische Vorschläge; ob er sie berücksichtigte stand auf einem anderen Blatt. Zum Bau des Museums für Zeitgenössische Kunst in der Bucht von Rio de Janeiro, erinnerten die Financiers Oscar Niemeyer höflich: „Oscar, es wird ein Museum. Wir wollen da drin Bilder aufhängen, verstehst Du? Kannst Du bitte nicht alle Wände rund machen?" Und er hielt sich an die Vorgaben - zumindest größtenteils. Es gab hinterher die eine oder andere ebene Fläche, die der Bezeichnung einer runden Wand praktisch zumindest nicht völlig widersprach. Rein äußerlich dagegen ist das Museum für Zeitgenössische Kunst einer fliegenden Untertasse sehr ähnlich: kreisrund, erst knapp 20 Jahre jung und bereits heute mit Legendenstatus. Einfach „maravilhosa“.
Hotel (Horsa) Nacional
Dieser zylindrische Turm mit 34 Stockwerken und 108 Metern Höhe an der Avenida Niemeyer südlich des Tijuca Nationalparks ist ebenfalls die Arbeit des deutsch-brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer. Das Hotel liegt an einem Strand in Rio de Janeiro, besteht aus Niemeyers Lieblingsmaterialien Glas, Aluminium und Beton und wurde im Jahr 1972 abgeschlossen. Es war die Heimat des Hotels Nacional de Rio, bevor es wegen Insolvenz im Jahr 1995 geschlossen wurde. Aufgrund der Nähe (800m) zum größten und gefährlichsten Ort in Rio de Janeiro, der Favela Rocinha, dem großen Verkehrsaufkommen und Schießereien zwischen der Polizei und Kriminellen direkt vor der Haustür, ist der Ort für Touristen und Einheimische über die Zeit immer unattraktiver geworden. Die Bewohner des Hauses haben ihre Wohnungen verlassen und Nachmieter wurden kaum noch welche gefunden. Am Ende überstiegen die Neben- und Erhaltungskosten die Einnahmen und das ursprünglich als Apartmenthaus konzipierte Bauwerk musste geschlossen werden. Das Gebäude blieb fast 15 Jahre lang ungenutzt, bevor sich ein brasilianischer Geldgeber dem Gebäude angenommen und verpflichtet hat, das Gebäude generalzuüberholen und zu sanieren. Die Renovierungsarbeiten sollten bis 2014 abgeschlossen sein und das Gebäude danach wieder als Hotel funktionieren, wenn Brasilien Gastgeber der Fußball-WM ist.
Für alle, die sich tiefer für den Star-Architekten des 20. Jahrhunderts, Oscar Niemeyer, und seine Baukunst interessieren, gibt es in Rio de Janeiro den Architektur-Pilgerort schlechthin : Im Jahr 2010, im Alter von 103 Jahren, eröffnete Oscar Niemeyer persönlich ein Museum über sein Lebenswerk mit dem Namen Oscar Niemeyer Foundation. Das Gebäude, das alles von Zeichnungen über Skizzen und Modellgebäude in seiner über 70-jährigen Karriere umfasst, ist heute eines der bestbesuchten Museen der Stadt und immer einen Besuch wert.